Nein, ich gender‘ nicht…

Photo: Najla Cam (unsplash)

… das generische Maskulin genügt. Für mich als Sprachwissenschaftler sind grammatisches Geschlecht und identitäre Präferenzen zwei verschiedene Phänomene. Das eine ist eine grammatische Kategorie und das andere persönlich. Während manche Menschen ihr Geschlecht sprachlich repräsentiert wissen wollen, kann ich mit Phrasen wie „Experte Dr. Weiß“ prima leben. Für mich ist es einfach ein Nomen, das maskulin flektiert. Ende. Ein maskulines Nomen qualifiziert mich nicht mehr oder weniger und ändert auch nichts an meiner Identität. Soweit mein Standpunkt. Verbreitet ist der nicht.

Generisches Maskulin im Alltag

Im Alltag wird das generische Maskulin als männlich verstanden und in Bezug zum Geschlecht gesetzt, erklärt der Sprachwissenschaftler Dr. Stefanowitsch im Interview. Frauen und Menschen mit nicht-binärer Identität fühlen sich dabei häufig nicht eingeschlossen. Oft unbewusst. Ändert aber nichts. Eine Anzeige, ein Ratgeber, eine Stellenausschreibung etc., die es nicht schafft, alle gleichwertig anzusprechen, verliert an Publikum. Der Untschied zwischen Frauen und Menschen mit nicht-binärer Identität im Hinblick auf Sprache? Frauen kann man mit der femininen Endung „miterfassen“. Für nicht-binär haben wir praktisch (noch) kein adäquates sprachliches Mittel. Das Gendersternchen ist ja mehr ein grafischer Verweis, wie eine Fußnote, dass hier ein geschlechterneutraler Ausdruck stehen sollte. Richtig gut finde ich das nicht. Aber es macht aufmerksam für ein gesellschaftliches Problem.

Gendern – ein Spiegel unserer Gesellschaft

Sprache ist das Produkt der Menschen, die sie nutzen. Als (Ex-) historischer Sprachenwissenschaftler ist es mir praktisch eingeimpft, dass Sprache ein vitales Zeugnis gelebter Kultur ist. Ein Wort ist nicht nur eine Reihe von Buchstaben, sondern impliziert eine Vorstellung, ein Konzept. Der Wunsch sich auszudrücken, sich in Worten zu repräsentieren ist alt. Im Gendern wird genau das deutlich. (Das zeigt auch das Wort „gendern“ selbst, denn so alt ist das Verb nämlich auch noch nicht.)

Gendern zeigt, dass wir bemüht sind, neutral bzw. gleichwertig zu kommunizieren. Bemüht, alle mit einzubeziehen. Bemüht, nicht auszugrenzen. Die Krux: Das Deutsche hat keine neutralen Formen, die dieser Geisteshaltung gerecht würden. Die Einführung eines Sternchens löst das auch nicht. Vielleicht ist es Zeit traditionelle Sprachmuster zu überwinden und ein neues Konzept zu entwickeln?!

Es ist spannend mitzuerleben, wie die gesellschaftliche Diskussion unsere Sprache beeinflusst. Für gewöhnlich bemerkt man Sprachwandelphänomene kaum, wenn sie vonstatten gehen. Aber dieses hier ist laut. So laut, dass es auch in der Suchmaschinenoptimierung Fragen aufwirft.

Gendern und SEO

Deutsche Nutzer verwenden Keywords für gewöhnlich im maskulin, sagt Nora Taubert von Seokratie. Gewohnheit. Der interessante Part kommt danach: In Web-Artikeln kommen immer häufiger „gegenderte“ Phrasen vor, worauf auch die Algorithmen der Suchmaschinen aufmerksam werden. Suchen User nun vermehrt mit „gegenderten“ Keywords, wird sich die Suchmaschine darauf einstellen. Unsere Gewohnheiten beeinflussen die Suchmaschine, denn das Ziel der Suchmaschine ist es, den Nutzern das bestmögliche Ergebnis auszuspielen.

Aktuell zeigen die Keyword-Tools (noch) keine signifikaten Zahlen für „gegenderte“ Keywords. Das Suchvolumen für maskuline Formen ist deutlich höher. Auch feminine Formen spielen eine Rolle, sind aber vorrangig auf den Search Intent und auf gesellschaftliche Gewohnheiten zurückzuführen. Möchte der Nutzer explizit eine weibliche Person finden, bspw. eine Frauenärztin in seiner Nähe, sucht er genau danach (Search Intent). Gewohnheit begegnet uns bei traditionellen Berufsbezeichnungen wie „Kauffrau“. „Kaufmann“ ginge auch, ist aber weniger verbreitet. „Kaufleute“ wäre geschlechtsneutral, sucht aber niemand. Auch nach „gegenderten“ Keywords wie „Handwerker*in“ oder „Webdesigner*in“ sucht niemand.

Hat Gendern im Moment für SEO kaum einen Stellenwert, kann sich das ändern, wenn sich das Verhalten der User ändert.

Würde ich Kunden raten zu gendern?

Gendern oder nicht – das sollte zuerst im Rahmen der Unternehmenskommunikation geklärt werden. Nicht SEO-Gesichtspunkte, sondern Branding, Außenwirkung und deine Zielgruppe sollten entscheidend sein. Wie viel Wert legt Deine Zielgruppe auf gendergerechte Sprache? Sind Deine Wunschkunden gendersensibel, setz auf Kommunikation, die bei ihnen auf offene Ohren stößt. Bist du der Meinung grammatisches Geschlecht und Sexus sind zwei völlig verschiedene Baustellen und du bist ein bisschen altmodisch, so wie ich – dann passt das generische Maskulin in deine Strategie.

Ja, richtig gelesen, altmodisch. Gendern ist nämlich zeitgemäß. Unsere Gesellschaft hat sich in die Richtung sprachlicher Inklusion entwickelt, d.h. es wird auf Sprachgebrauch geachtet, der alle einschließt.

Meine Empfehlung

Als Einzelperson kannst du Deine Präferenzen und Deinen Standpunkt vertreten. Ich zum Beispiel bin vom Gendersternchen nicht überzeugt und warte ab, bis wir eine gute sprachliche Lösung haben, die nicht nur alle grammatikalisch miteinbezieht, sondern die auch von den Sprechern so verstanden wird. So lang bleib ich altmodisch.

Unternehmen, die gesellschaftlich wirkungsvoll und zeitgemäß agieren wollen, sollten Gendern in Ihrer Unternehmenskommunikation berücksichtigen. In jedem Fall hat Deine Entscheidung Einfluss aufs Branding, kann Deine Zielgruppe verprellen oder Dir eine geneigte Audience sichern. Choose wisely.

Du willst mit mir ins Gespräch kommen?

Gern! Schreib an: lasstexten@paulineweiss.de

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